Mieter und Eigentümer zugleich sein: Wer genossenschaftlich bauen oder wohnen will, vereint damit die Vorteile beider Wohnformen. Kein finanzielles Risiko, dafür aber ein lebenslanges Nutzungsrecht, zugleich das Recht auf Mitbestimmung und auch die Chance, die erworbenen Genossenschaftsanteile – und damit das Recht auf eine Wohnung – zu vererben: Ein "Genosse" genießt viele Vorteile. Die ersten Wohnungsbaugenossenschaften entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Industrialisierung in voller Blüte stand und es für Arbeiter in den Städten kaum Wohnraum gab. Damals entstanden Genossenschaften als eine Art Selbsthilfeverein, die den Menschen zu ausreichendem und gesundem Wohnraum verhelfen sollte. Auch heute zeichnet sich, angesichts drastisch steigender Mieten, ein neuer Trend zum genossenschaftlichen Bauen ab. Gerade in Städten wie Berlin oder München erfahren bereits bestehende Wohnungsgenossenschaften rasanten Zulauf, aber es kommt auch zu erfolgreichen Neugründungen.
Wohnungsgenossenschaften sind im Prinzip Selbsthilfeorganisationen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, ihren Mitgliedern dauerhaft gute Wohnungen zu bezahlbaren Preisen anzubieten. Damit stellen sie einen Gegenpol zu gewinnorientierten Vermietern oder Hausverkäufern dar, schließlich steigen die Mieten vor allem auf Grund von Spekulation. Wer "Genosse" ist, ist kein Mieter, sondern Miteigentümer der Genossenschaft. In einer Genossenschaftswohnung wohnen kann schließlich nur, wer Anteile ebendieser Genossenschaft erworben hat – und demzufolge eben Miteigentümer ist. Als einem solchen gehört einem zwar nicht die konkrete Wohnung, aber man genießt ein lebenslanges Nutzungsrecht. Die Genossenschaft ist stets verpflichtet, seinen Mitgliedern adäquate Wohnungen anzubieten. Als Miteigentümer hat man natürlich auch das Recht, in den das Wohnungsunternehmen betreffenden Fragen und Entscheidungen mitbestimmen zu dürfen. Dabei geht es recht demokratisch zu, schließlich verfügt jedes Mitglied über eine Stimme – egal, wie viele Anteile es dabei gezeichnet hat.
Derzeit gibt es in Deutschland etwa 2.000 Wohnungsbaugenossenschaften mit etwa drei Millionen Mitgliedern. Große Genossenschaften können durchaus mehrere Tausend Mitglieder und bis zu 40.000 Wohnungen in ihrem Bestand haben, kleine Neugründungen wiederum befassen sich eher mit bestimmten Projekten. Ihnen allen gemein ist jedoch, dass sie die konkreten Vorteile des genossenschaftlichen Bauens für sich nutzen:
Gerade der letzte Punkt macht die Neugründungen von Wohnungsbaugenossenschaften so interessant. Zwar ist es heutzutage nicht mehr so, dass die Genossenschaften das Nutzungsentgelt lediglich nach der Höhe der nachweisbar verursachten Kosten berechnen dürfen, aber dennoch sind viele Genossenschaftswohnungen bedeutend günstiger als vergleichbare Objekte auf dem freien Markt. Um wirtschaftlich arbeiten zu können – und damit zu überleben – muss auch eine Genossenschaft marktorientierte Preise für entsprechende Wohnungen verlangen. Allerdings wird ein solches Unternehmen nicht mit Wohnraum spekulieren und auch nicht den größtmöglichen Gewinn erzielen wollen. Ein weiterer Grund für den neuen Boom der Genossenschaften sehen Experten nicht nur in den gestiegenen Mietpreisen, sondern auch in der Auflösung der Familie. In Deutschland gibt es die Tendenz, dass es trotz sinkender Einwohnerzahlen immer mehr Haushalte gibt – die meisten davon sind Singlehaushalte. Ein gegenläufiger Trend ist im genossenschaftlichen Bauen zu sehen, der die Bewohner aus der Einsamkeit herausreißen und in eine familiär anmutende Gemeinschaft verpflanzen will.
Angesichts steigender Mietpreise und niedriger Zinsen für Baukredite sind in den letzten Jahren gerade in Berlin zahlreiche genossenschaftliche Modellprojekte entstanden. Dabei geht es nicht immer nur darin, möglichst wenig Miete für eine Wohnung in einer begehrten Lage zu zahlen – ebenso wichtig ist den Initiatoren dieser Projekte das soziale Miteinander, die Durchmischung des Kiez. Jung und Alt, wohlhabend und arm, mit Kindern oder ohne, behindert oder nicht behindert – genossenschaftliches Bauen fördert die Ausgewogenheit innerhalb eines Stadtteils sowie das Gefühl, dass nicht jeder einzeln für sich lebt, sondern alle an einem Strang ziehen. Eines der mittlerweile bekanntesten neugenossenschaftlichen Bauprojekte ist das Modellprojekt Möckernkiez, das es sich zum Ziel gesetzt hat, in Berlin-Kreuzberg insgesamt 460 Wohnungen sowie Gewerbeflächen und auch Gemeinschaftsräume neu zu bauen, die gemeinschaftlich genutzt werden sollen. Das Projekt ging ursprünglich aus einer Bürgerinitiative hervor, die sich gegen hohe Mieten und eine damit einhergehende Vertreibung aus dem Kiez zur Wehr setzen wollte. Mittlerweile findet die Idee des genossenschaftlichen Bauens als Gegenpol zum Investorentum so großen Anklang, dass sich interessierte Neugründer etwa bei der Netzwerkagentur GenerationenWohnen beraten lassen können.